Jugend forscht unterwegs
Jungforscherinnen und Jungforscher berichten über ihre Teilnahme an internationalen Wettbewerben, Studienreisen und Forschungsaufenthalte.
Jugend forscht unterwegs
Jungforscherinnen und Jungforscher berichten über ihre Teilnahme an internationalen Wettbewerben, Studienreisen und Forschungsaufenthalte.
Das LIYSF (kurz für: London International Youth Science Forum) fand vom 27. Juli bis zum 10. August 2022 unter dem Motto „Science for society“ statt. Im Folgenden werde ich nicht nur von einer der großartigsten Erfahrungen meines Lebens berichten, sondern auch erklären, weshalb in der Abkürzung LIYSF jeder Buchstabe seine Daseinsberechtigung hat.
Die Veranstaltung findet in London statt. Damit könnte der Buchstabe L prinzipiell schon erklärt werden, aber es steckt noch viel mehr dahinter.
Die Stadt zu erkunden, war ein wichtiger, wenn auch freiwilliger Bestandteil der zwei Wochen. Im Laufe der Zeit besichtigten wir sämtliche Sehenswürdigkeiten in und im Umkreis von London. Bereits am Abend des vierten Tages fand der erste optionale Programmpunkt statt, für den sich jede*r im Voraus anmelden konnte: Eine Bus-Tour durch London mit einem Reiseführer. Wir tauchten in die äußerst turbulente Geschichte Londons und seiner Sehenswürdigkeiten ein. Uns wurde sogar verraten, in welchem McDonalds Princess Diana mit ihren beiden Söhnen Harry und William zu Abend gegessen hatte. Außerdem besuchten wir die wohl berühmtesten Steine der Welt: „Stonehenge“. Natürlich steckt weit mehr dahinter. „Stonehenge“ wurde vor über 4000 Jahren errichtet und hat seitdem nicht viel von seiner Magie und Mystik eingebüßt. Kurzum: Stonehenge hat ge*rock*t. Neben dem „Tower of London“ und dem „Buckingham Palace“ hatten wir im „London Eye“ einen wundervollen Blick über die gesamte Stadt.
Auch am Rande des Programms blieb genug freie Zeit für uns alle auf eigene Faust London zu erkunden.
Zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Geschichte fand sich sogar noch etwas Zeit für etwas Kultur im Rahmen von zwei „Theatre nights“ (deutsch: Theaterabende). Neben dem großartigen inszenierten Musical von Wicked einige Tage früher, wird mir die Vorstellung von „Grease“ am 8. August 2022 explizit im Gedächtnis bleiben. „Grease“ (deutsch: Pomade) ist ein international bekannter Film, der in den 80er-Jahren im Anschluss an das Musical erschien und die Besetzung rund um John Travolta und Olivia Newton-John weltberühmt machte. Umso größer war unsere Überraschung und Trauer, als am Ende der großartigen Show die tragische Nachricht verkündet wurde. An ebendiesem Abend war Olivia Newton-John verstorben und diese Aufführung wurde im Nachhinein ihr gewidmet.
Über 300 Teilnehmer*innen aus 67 Ländern – und das nur in Präsenz. Auch online konnten junge Erwachsene und Jugendliche aus aller Welt den Vorlesungen zuhören und Fragen stellen. Abgesehen davon, hatten wir zahlreiche Möglichkeiten Kulturen anderer Länder zu sehen, zu hören, mitzuerleben – ja sogar teilweise zu schmecken.
Im Rahmen der offiziellen Begrüßung von Persönlichkeiten wie Princess Anne, Mitglied der britischen Königsfamilie und langjährige Unterstützerin des LIYSF, und Richard Myhill, dem Direktor der Veranstaltung, fand die „flag ceremony“ statt. Dahinter steckt die Tradition, dass alle Teilnehmenden festlich oder in Nationalkleidung gekleidet in der berühmten Royal Geographical Society sitzen. Jeweils eine Person schwenkt, nachdem das Land angesagt wurde, die Landesflagge. Ein absoluter Gänsehautmoment und einer meiner persönlichen Höhepunkte.
Die Begrüßungsworte der Princess Royal Anne bei der „Opening ceremony“
Apropos Gänsehaut: Das internationale Cabaret, in der die talentiertesten Sänger*innen der ganzen Veranstaltung auftraten, versprach großartige Unterhaltung. Der Abend endete mit einer improvisierten Gesangseinlage von „Mamma Mia“ von allen Beteiligten – die neue Hymne des LIYSF war entstanden.
Damit ist es allerdings längst nicht getan: Die „Traditions of Home“-Night ermunterte uns dazu, unsere eigene Kultur vorzustellen. Von schwedischen Volkstänzen und philippinischen Tanzeinlagen, über mexikanische Lieder bis hin zu ägyptischer Geschichte war wirklich alles vertreten. Zwischendurch hatten wir außerdem die Möglichkeit ungewöhnliche Köstlichkeiten aus aller Welt zu probieren.
Die Altersspanne der Teilnehmenden reichte von 16 bis 21 Jahren. Kein Wunder also, dass ausreichend Zeit blieb für Veranstaltungen außerhalb der Wissenschaft.
Im Programmheft als „Welcome Event“ ausgeschildert, erwies sich die erste Abendgestaltung tatsächlich als ein Quiz – passender geht es wohl kaum. Das fünfköpfige Team sollte aus mindestens zwei verschiedenen Kontinenten stammen. Mein Team bezeichnete sich höchstkreativ als „cellmates“. Eine Anspielung auf unsere Liebe zur Biologie, sowie auf die humorvolle Bemerkung die Unterkunft würde einem Gefängnis ähneln. Herausfordernde Fragen in den unterschiedlichsten Kategorien brachten uns dazu, die Flughäfen Londons aufzuzählen oder herauszuknobeln wie viele Elemente nur in Molekülform vorkommen. Obwohl wir nicht gewonnen haben, hatten wir großen Spaß.
Des Weiteren fand eines Abends eine Schnitzeljagd mit zahlreichen Fragen über Orte in South Kensington statt. Ganz nach dem Motto „Work smart, not hard“, liefen wir weniger als wir sollten, aber gerade genug, um alle Fragen beantworten zu können.
Die Abendgestaltung wurde einmal auf äußerst humorvolle Weise von Dr. Jason Nurse übernommen, welcher einen Debattierabend mit uns in der Royal Geographical Society veranstaltete. Im Verlauf konnten wir zum großen Hauptthema „Truth, Trust and Harm online: Who is responsible?“ Stellung nehmen und uns zu verschiedenen Teilaspekten wie beispielsweise „Deepfake“ äußern.
Debattierabend durchgeführt von Dr. Jason Nurse
Bei uns als jungen Menschen durfte natürlich das Feiern nicht zu kurz kommen. Die „Farewell-Party“ läutete zwar den Abschluss des Events an, motivierte uns allerdings auch, den letzten gemeinsamen Abend noch einmal so richtig zu genießen. Elektrisierende Stimmung, gute Musik (vor allem „Mamma Mia“ und „Dancing Queen“) und die verrücktesten Tanzeinlagen machten das Ende zum im Gedächtnis bleibenden Erlebnis.
Wissenschaft wurde beim LIYSF natürlich reichlich abgedeckt. Von Vorlesungen, Vorlesungen von Spezialisten in kleineren Gruppen und Besuchen wissenschaftlicher Einrichtungen war wirklich alles mit dabei. Während des Forums durften wir die große Vielfalt der Wissenschaft in verschiedensten Feldern erleben.
Den ersten, äußerst inspirierenden und authentischen Vortrag von insgesamt elf Vorlesungen hielt Nobelpreisträger für Medizin oder Physiologie, Prof. James Rothman von der Yale University über seine wissenschaftliche Karriere. Besonders hilfreich waren seine an uns gerichteten Tipps für angehende Wissenschaftler*innen. Laut ihm würden gute Wissenschaftler in 99% aller Fälle scheitern- Großartige dagegen „nur“ in 90%.
Professor Ian Chapman klärte über den aktuellen Stand der Fusionsenergie als grüne Energiequelle auf. Er schätzte, dass es erst 2040 den ersten serienreifen Prototypen mit ausreichender Kapazität geben wird. Bis zur Serienreife müssten wir, um den Klimawandel nicht noch weiter voranzutreiben, jegliche verfügbaren grünen Energiequellen nutzen.
Insbesondere inspiriert wurde ich vom Vortrag von Richard O´Kennedy von der Qatar Foundation über personalisierte Medizin. Er erklärte, dass der frühere Ansatz der Gesundheitsversorgung gewesen ist, möglichst generalisierte Vorgehensweisen für die gesamte Bevölkerung zu finden. Gleichzeitig überzeugte er uns von den Fehlern dieses Ansatzes und sprach über Methoden, um unsere Gesundheitsversorgung individuumsspezifischer zu gestalten.
Die „specialist lectures“ (deutsch: Vorträge von Spezialisten) unterschieden sich von den vorher erwähnten Vorlesungen durch selbst gewählte Themenschwerpunkte und fanden in kleineren Gruppen statt.
Als damals angehende Medizinstudentin mit einer frischen Zulassung in München hatte ich mich für den Vortrag von Dr. Ivy Dambuza von der University of Exeter über „Medical Mycology“ entschieden. Ich war sehr überrascht von der Relevanz dieses doch eher unbekannten Themengebietes, denn immerhin sterben jährlich weltweit 1,5 Millionen Menschen an Pilzinfektionen und Antibiotika existieren nicht dagegen. Im MRC Centre for Medical Mycology, an welchem die Spezialistin tätig ist, wird intensiv an neuen Therapie- und Diagnoseansätzen für Pilzinfektionen geforscht.
Auf die letzte Vorlesung von Dr. Helen O´Neill hatte ich mich die ganze Zeit über am meisten gefreut. Sie sprach über kein geringeres Thema als das Wundermittel der modernen Gentechnik: Die Genschere CRISPR. Als ehemalige Fragestellung meiner MSA-Prüfung und diversen Kursen im „Gläsernen Labor“ hatte ich natürlich ein persönliches Interesse an den Vor- und Nachteilen des neuen Konzepts. Sie vermochte in einfachen Worten den komplizierten Mechanismus anschaulich zu erläutern und ist insbesondere auf die realistischen Gefahren und Chancen innovativer Gentechnologien eingegangen. Eine äußerst beeindruckende Frau, die nebenbei noch Gründerin der Organisation „Hertility Health“ für Hormon- und Fruchtbarkeitstests ist.
Im Laufe des LIYSF erhielten wir mit den „scientific visits“, bei denen wir uns im Voraus für eine wissenschaftliche Einrichtung entschieden hatten, die Möglichkeit wissenschaftliche Einrichtungen zu erkunden. Am dritten Tag besuchte ich mit meiner Gruppe das Science Centre der „London Metropolitan University“. Wir besichtigten das „Superlab“ (der Name verspricht nicht zu viel), welches Platz für unglaubliche 280 Student*innen hat. Nachdem wir in Partnerarbeit ein Experiment durchführen durften, wurden wir noch im Labor und in der Abteilung für Sportwissenschaften herumgeführt.
Experiment in der London Metropolitan University
Die mit Abstand längste Fahrtzeit hatte unsere Exkursion nach Norwich in das John-Innes-Centre. Hier haben wir selbstständig im Labor beim Mikroskopieren verschiedene stärkehaltige Lebensmittel verglichen und nebenbei während der Führung über das Gelände spannende Fakten über die Geschichte der Botanik gelernt.
Beim Besuch des „Science Museum“ in Oxford wurde uns sehr ausführlich von der Geschichte der Sextanten und deren Bedeutung für Erkenntnisse der Astronomie erzählt. Mit einem Papiermodell durften wir auch selbst aktiv werden und die Positionen von Sternen mittels ausgedachter Daten bestimmen. Im Anschluss erhielten wir noch genug Zeit Oxford zu erkunden und im berühmten „Blackwell´s Bookshop“ vorbeizuschauen.
Eines Nachmittags fand auch der „science bazar“ statt, bei dem Ina und ich unser Projekt „Klimawandel und Epidemie – Auf der Suche nach dem Zusammenhang“ interessierten Mitteilnehmer*innen vortrugen. Nele, Jan und Martin (ebenfalls Sieger*innen bei „Jugend forscht“) stellten auch ihre großartigen Arbeiten vor, wie viele Andere auch. Die Herausforderung hierbei bestand vor allem darin, die wissenschaftlich komplexen Inhalte verständlich auf Englisch zu präsentieren. Zehn der Projekte wurden ausgewählt und vor allen Teilnehmenden vorgestellt.
Offiziell steht der Begriff zwar für Forum, aber ich finde, dass das Wort Friendship hier deutlich treffender ist.
Ich kann nicht beschreiben, wie sehr mir die Teilnehmenden des LIYSF 2022 ans Herz gewachsen sind. In der so kurzen Zeitspanne von zwei Wochen habe ich mich mit so vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten unterhalten können. Ob Ary aus Mexiko, Gabriel aus Irland oder Joanna aus Zypern: Sie alle haben das LIYSF einzigartig gemacht und dafür bin ich ihnen unglaublich dankbar.
An dieser Stelle möchte ich auch meine persönliche Lieblingsgeschichte teilen. In der Beit Hall befand sich unten ein kleiner Aufenthaltsraum, in welchem eine Tischtennisplatte stand – leider ohne Schläger und einen Ball. Eines Tages betraten wir den Raum und sahen Studierende Tischtennis spielen. Diese Chance ließen wir nicht ungenutzt und legten Schläger und Ball zur Seite, um an darauffolgenden Tagen ebenfalls zu spielen. Kurzum: Die Schläger blieben, der Ball verschwand. Also begab ich mich mit einem neugewonnenen Freund aus Irland auf die Suche, denn ein Student hatte uns geraten, in den Büschen im Hof nachzusehen. Um 23 Uhr liefen wir also mit angeschalteten Handy-Taschenlampen durch die Büsche auf der Suche nach einem Tischtennisball – und wurden fündig. Wenn das mal kein Schicksal war!
„Bing Bong!“
Das sagte Richard Myhill, der Direktor des LIYSF immer, wenn er einen Wechsel des Programmpunktes ankündigte. In diesem Sinne möchte ich deshalb zu einem Abschluss meines Berichts kommen.
Ich spreche wohl für alle Preisträger*innen von „Jugend forscht“, wenn ich sage, dass das „LIYSF“ eine der bereicherndsten Erfahrungen unseres Lebens war. Die Dankbarkeit so viele freundliche und interessierte Menschen in nur zwei Wochen getroffen und ins Herz geschlossen zu haben, lässt sich nicht in Worte fassen. Abgesehen von dem neu angeeigneten Wissen bleibt daher vor allem die Freundschaft als wesentlicher Bestandteil in meinem Gedächtnis.
Dieses Gefühl sich zwar kulturell zu unterscheiden, aber im Herzen durch die Liebe zur Wissenschaft vereint zu sein, ist unvergleichlich. Das LIYSF hat meinen Sommer 2022 unvergesslich gemacht!
An dieser Stelle möchte ich mich aus diesem Grund bei „Jugend forscht“ und dem „LIYSF“ für diese unglaubliche Möglichkeit sehr herzlich bedanken. Und wer weiß: Vielleicht kommt ja einem von uns LIYSF-Alumni irgendwann das Privileg zuteil, eine Vorlesung in der berühmten Royal Geographical Society zu halten.